Tarifrunde 2018

"Der Wettergott ist ein Metaller"

23.01.2018 | Rund 1300 Beschäftigte von Porsche und Schnellecke legten am Dienstag zeitweise die Arbeit nieder und trafen sich zur Kundgebung vorm Werktor. Eine Reportage vom letzten Warnstreiktag in Leipzig vor der entscheidenden vierten Verhandlungsrunde.

Vorbereitungen abgeschlossen: Warten auf den Warnstreikbeginn Foto: Jörg Meyer

Vor dem Porsche-Werk in Leipzig. Es regnet, langsam wird es hell, doch auch die Sonne scheint bei dem Wetter nicht eben Lust zu haben, sich über den Horizont zu erheben. Einzelne Menschen gehen und fahren durchs Werktor auf das riesige Gelände des Automobilbauers, Lkw liefern an. Davor wird eine Bühne aufgebaut, die Technik eingerichtet. Ein paar Meter weiter auf dem Besucherparkplatz stehen schon die zwei weißen Pavillons, darunter Tische, auf denen ein gutes Dutzend Teecontainer und Kisten mit hunderten weißen Bechern stehen. Gewerkschaftssekretäre befestigen die IG Metall-Fahnen an der Bühne, ein erster Mikrofoncheck, alles funktioniert. Man grüßt sich - fast wie alte Bekannte. Die Veranstaltungstechniker und die Caterer waren bereits bei mehreren Warnstreiks der IG Metall in der laufenden Bewegung dabei, haben dafür gesorgt, dass die Kolleginnen und Kollegen einen warmen Tee in der Hand und guten Sound im Ohr hatten.

 

Vorbereitungen abgeschlossen: Warten auf den Warnstreikbeginn
Foto: Jörg Meyer

Rund 4800 Menschen arbeiten im Werk der Porsche Leipzig GmbH in der Stammbelegschaft, dazu kommen rund 1600 Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter. Die IG Metall Leipzig hat an diesem Dienstag im Rahmen der Tarifrunde für die Metall- und Elektroindustrie zum Warnstreik aufgerufen. Die Gewerkschaft fordert eine Erhöhung der Entgelte und Ausbildungsvergütungen um 6 Prozent. Dazu kommen Forderungen nach individuellen Wahlmöglichkeiten, die Arbeitszeit für maximal 24 Monate auf 28 Stunden zu verkürzen - mit einem Teillohnausgleich für besonders belastete Berufsgruppen. Letztens fordert die IG Metall von den Arbeitgebern eine verbindliche Verhandlungsverpflichtung, die Arbeitszeiten in Ost- und Westdeutschland anzugleichen. Während die Beschäftigten im Westen 35 Stunden in der Woche arbeiten, sind es im Osten 38 Stunden.

Fast 30 Jahre nach der Wende dürfe es auch bei den Arbeitszeiten keine Mauer mehr geben, wird Wolfgang Lemb, Mitglied des geschäftsführenden IG Metall-Vorstandes, zu den Streikenden später sagen und viel Beifall dafür bekommen. Doch noch ist der Platz vor der Bühne leer. Ab und zu hört man das Rauschen der Reifen auf nassem Asphalt, wenn einer der neuen Porsches mit Elektroantrieb auf der werkseigenen Teststrecke neben dem Werktor seine ersten Runden surrt.

Drei leere Reisebusse fahren ins Werk, passieren die ersten Hallen, verschwinden hinter den nächsten. Sie holen die Kolleginnen und Kollegen aus dem Karosseriebau ab, deren Bereich fast einen Kilometer vom Kundgebungsort entfernt liegt. Um 8.45 Uhr halten die Bänder an. Auf dem Werksgelände sammeln sich die Beschäftigten aus der Montage in ihrer roten Arbeitskleidung, kurz darauf kommen die anderen mit den Bussen an. Zusammen ziehen rund 1300 Streikende mit Trillerpfeifen, roten Gewerkschaftsfahnen und Transparenten durchs Tor und auf den Kundgebungsplatz.

Kurz vor dem Zug durchs Werktor
Foto: IG Metall Leipzig

Die IG Metall Leipzig hat zum zweiten Mal bei Porsche, Schnellecke Modul- und Lieferantenzentrum GmbH und der Schnellecke Sachsen GmbH zum Warnstreik aufgerufen. Kurz bevor der Warnstreik beginnt, hört der Regen auf, vereinzelt sind kleine Flecken blauer Himmel im Einheitsgrau zu sehen. „Der Wettergott ist ein Metaller“, beginnt der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende von Porsche, Knut Lofski, seine Rede und berichtet vom letzten Stand der Tarifverhandlungen. Den Forderungen der IG Metall stellten die Arbeitgeber ein Angebot gegenüber, dass man kaum als solches bezeichnen darf. Zwei Prozent mehr Geld und eine Einmalzahlung von 200 Euro - also bestenfalls ein Inflationsausgleich und ein warmer Händedruck. „Im Ergebnis ist das ein Minusergebnis“, sagt Knut Lofski.

Die Arbeitgeberseite stellt überdies die Gegenforderung auf, die bezahlte Schichtpause im Dreischichtbetrieb abzuschaffen. Diese Regelung war Teil eines Tarifpakets, für das die IG Metall vor einigen Jahren noch darauf verzichtet hatte, die Angleichung der Arbeitszeiten in Ost und West vor 2018 zum Thema zu machen. Die Forderung der Arbeitgeberseite, die Schichtpause abzuschaffen, ist für viele Beschäftigte darum blanke Provokation.

„Ihr arbeitet seit Jahren immer mehr, rund um die Uhr und teilweise auch am Wochenende“, sagt Wolfgang Lemb in seiner Rede. „Deshalb wollen wir endlich Arbeitszeiten die zu unserem Leben und zu unseren Bedürfnissen passen. Das heißt: Wir wollen Arbeitszeitmodelle für die Zukunft.“ Besonders junge Eltern, Menschen die Angehörige pflegen oder Menschen, die im Schichtbetrieb arbeiten, brauchten die Wahloption, „mal kürzer zu treten“. Das sei „eine Frage des gesellschaftlichen Fortschritts“. Das Angebot der Arbeitgeberseite nannte der Gewerkschafter „mickrig“ und „eine Frechheit“.

IG Metall-Vorstandsmitglied Wolfang Lemb spricht zu den Streikenden. Rechts neben ihm Betriebsratsvize Knut Lofski und der stellvertretende Vertrauenskörperleiter Uwe Schlinger. Links Steffen Reißig von der IG Metall Leipzig
Foto: IG Metall Leipzig

Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall habe auf seiner "facebook-"Seite" einen Zeitungsartikel zitiert, in dem es hieß, die Metall- und Elektroindustrie sei "längst ein Wellness-Wirtschaftszweig mit überwiegend guten Löhnen und Arbeitsbedingungen", sagte Lemb weiter und entgegnete in Richtung der Unternehmer: „Wer so ein Bild von seinen Beschäftigten hat, der muss entweder mal wieder in die Produktion oder gleich zum Arzt gehen und sich eine Überweisung zum Psychologen holen.“ Die Streikenden quittierten die markigen Worte mit Applaus. Sie wissen was die Arbeit im Dreischichtsystem bedeutet, wissen, wie es ist in Beziehung oder mit Kindern zu leben, wenn man wöchentlich wechselnde Schichten hat, wissen, dass Nachtschichten auf Dauer gesundheitsschädlich sind.

Mit Blick auf die ungleichen Arbeitszeiten in Ost und West sagte Lemb, die Angleichung sei überfällig, und „wir scheuen die Auseinandersetzung nicht“.

In Sachsen arbeiten rund 180 000 Menschen in der Metall- und Elektroindustrie. Ein großer Teil von ihnen im Schichtbetrieb. Die Tarifforderungen der IG Metall sind ein Ergebnis der Beschäftigtenbefragung vom letzten Jahr. Viele Beteiligte hatten die Unzufriedenheit mit der Arbeitszeit beziehungsweise die mangelnde Vereinbarkeit von Arbeit und Leben als Problem angegeben.

Drei Firmen, ein gemeinsamer Arbeitskampf: Schnellecke BU, Porsche und Schnellecke ML
Foto: IG Metall Leipzig

Die vierte und entscheidende Tarifrunde findet am 24. Januar in Baden-Württemberg statt. Am Folgetag treffen sich bundesweit die Tarifkommissionen der IG Metall und ab Freitag tagt der Gewerkschaftsvorstand in einer außerordentlichen Sitzung, um das weitere Vorgehen zu beraten. Sollte die Arbeitgeberseite nicht einlenken und es zu keiner Einigung kommen, sind sowohl ganztägige Warnstreiks als auch die Einleitung der Urabstimmung und längerfristige Streiks denkbar.

Nach gut einer Stunde ist die Kundgebung vorbei und der Platz vor der Bühne wieder leer. Als hätte jemand den Rückspulknopf gedrückt, beginnt der Abbau. Erst die Fahnen von der Bühne, dann die Mikrofonie, Lautsprecher, Scheinwerfer, ... Im Porsche-Werk laufen die Bänder um kurz nach 12 Uhr wieder an. Zwei Warnstreikwochen in Leipzig sind damit vorbei, doch die Tarifrunde ist noch nicht zu Ende. jme

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