Brief an regionale Bundestagsabgeordnete

Wir benötigen ein modernes und gerechtes Berufsbildungsgesetz!

15.02.2019 | Die IG Metall Jugend Leipzig setzt sich für gute Ausbildungsqualität ein. Insbesondere die Diskussion über ein neues Berufsbildungsgesetz (BBiG) wird schon lange aktiv begleitet. Stellvertretend für ihre jungen Kolleginnen und Kollegen wendeten sich 14 JAV-Vorsitzende verschiedener Betriebe an sechs Bundestagsabgeortnete aus der Region Leipzig. Angeschrieben wurden Daniela Kolbe, Katharina Landgraf, Monika Lazar, Jens Lehmann, Sören Pellmann und Marian Wendt. Die Schreiben hatten folgenden Wortlaut:

Sehr geehrte(r) Frau/Herr

wir wenden uns heute stellvertretend für unsere jugendlichen Kolleginnen und Kollegen an Sie als Mitglied im Deutschen Bundestag.

 

CDU, CSU und SPD haben sich im Koalitionsvertrag vorgenommen, die Novellierung des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) im Laufe des Jahres 2019 auf den Weg zu bringen.

 

Die IG Metall Jugend befasst sich seit Jahren intensiv mit der Frage, wie die berufliche Bildung in Deutschland modernisiert und zukunftssicher gemacht werden kann. Wir begrüßen es, dass sich die Koalitionsparteien darauf verständigt haben, die berufliche Bildung – durch eine Modernisierung des BBiG – attraktiver zu machen. Die Diskussion und den Prozess der Gesetzgebung werden wir in Leipzig weiterhin konstruktiv und offensiv begleiten, so wie wir dies in den vergangenen Monaten getan haben.

So gab es bereits in der letzten Legislaturperiode eine Diskussionsveranstaltung mit dem damaligen MdB Dr. Thomas Feist (CDU). Ihn haben wir in die Ausbildungswerkstatt der Leipziger Mercedes-Benz Stern Auto GmbH eingeladen, wo wir unsere Kernpunkte für eine BBiG Novellierung aus der Praxisperspektive diskutierten.

Neben der Vorstellung des Themas auf Jugendversammlungen in unseren Betrieben, haben wir im Rahmen zweier parlamentarischen Abende des DGBs in Berlin, an denen etwa 200 Jugendliche aus der ganzen Republik teilnahmen, unsere Vorstellungen an Bundestagsabgeordnete verschiedener Parteien herangetragen.

Im April letzten Jahres gab es sogar eine Diskussion mit unserem Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier zum Thema berufliche Bildung in Leipzig. Er wollte mit uns Jugend- und Auszubildendenvertretungen sprechen und unsere Erfahrungen und Vorstellungen kennenlernen. Dem Bundespräsidenten haben wir Herausforderungen für die Zukunft aufgezeigt, bei denen die Politik gefordert ist.

 

Konkret geht es uns um Qualität, Rechtssicherheit und Chancengerechtigkeit in der Berufsausbildung.

 

Der Referentenentwurf aus dem Bundesministerium für Bildung und Forschung zur Novellierung des BBiG ist – bei allem guten Willen und bei allen positiven Ansätzen – aus unserer Sicht sehr problematisch. Wir kennen die Realität in den Betrieben, Berufsschulen und Hochschulen, die Praxis der Berufsausbildung und des dualen Studiums. Aufgrund unserer Erfahrungen sehen wir bei den folgenden Punkten Nachbesserungsbedarf:

 

  • Die vollwertige dreijährige Ausbildung zeichnet Deutschland aus und bildet ein wichtiges Standbein unserer Wirtschaft. Damit das auch in Zukunft so bleibt, muss sie gestärkt werden. Ausbildungen mit einer Dauer von zwei oder weniger Jahren lehnen wir ab. Für die bevorstehenden Veränderungen, die mit der Digitalisierung und Dekarbonisierung einhergehen, werden gut ausgebildete Fachkräfte dringend benötigt. Die im Referentenentwurf vorgesehene Regelung, nach Bestehen der Abschlussprüfung Teil I bereits einen zweijährigen Berufsabschluss zu erhalten, bewerten wir vor diesem Hintergrund sehr kritisch. Statt eines Vorteils sehen wir großes Erpressungspotential für Auszubildende: sie können leicht dazu gedrängt werden, ihre Ausbildung bereits frühzeitig nach Bestehen der Abschlussprüfung Teil I zu beenden. Schmalspur-Ausbildungen würden so durch die Hintertür wieder möglich. Die Berufsbildungsstatistik des BIBB weist für das endgültige Nichtbestehen der Abschlussprüfung Teil II einen Anteil von 0,5 Prozent aller Teilnehmenden aus, auch die Vertragslösequoten liegen in den letzten 18 Monaten vor Ausbildungsende bei unter 10 Prozent. Eine Haltelinie für Auszubildende, die durch ihre Abschlussprüfung Teil II fallen oder ihre Ausbildung vorzeitig abbrechen, ist also nicht notwendig. Für diesen Teil der Jugendlichen brauchen wir Förderung in der Berufsausbildung – keine Gesetzesänderungen. Wir sollten stattdessen alles daransetzen, jedem Menschen eine vollwertige dreijährige abgeschlossene Berufsausbildung mit Weiterbildungsperspektiven zu ermöglichen. Denn mit einer zweijährigen Ausbildung ist der Weg zum Meister, Techniker oder dem Studium praktisch verschlossen.
  • Dual Studierende benötigen einen rechtlichen Rahmen für den praktischen Teil ihrer Ausbildung im Betrieb. Die Anzahl der Dual Studierenden hat sich in den letzten 15 Jahren mehr als verdoppelt. Für die Meisten dieser zukünftigen Fachkräfte geschieht der betriebliche Teil ihrer Ausbildung aufgrund der fehlenden Regelung im BBiG im rechtsfreien Raum. Statt Praxiserfahrung im Betrieb zu sammeln, werden sie häufig als billige Arbeitskräfte eingesetzt und mit Praktikantenverträgen abgespeist. Hier fehlt eine gesetzliche Grundlage, welche Dual Studierenden sowie ausbildenden Betrieben Rechtssicherheit bietet und zukünftigen Fachkräften eine hochwertige, praktische Ausbildung garantiert. Daher müssen die Praxisphasen des dualen Studiums endlich in den Geltungsbereich des BBiG aufgenommen werden. Der Referentenentwurf lässt dieses wichtige Thema unbeachtet.
  • Eine gute Ausbildung darf keine Frage des Geldbeutels sein. Lehr- und Lernmittelfreiheit muss für alle Materialien (bspw. Fachliteratur, Arbeitshefte) gelten, die für die Ausbildung an der Hochschule, im Betrieb oder der Berufsschule benötigt werden, sowohl für Auszubildende wie für Dual Studierende. Auch im Rahmen der Ausbildung anfallende Übernachtungs- und Fahrtkosten zu Berufsschule oder Hochschule müssen vom Arbeitgeber übernommen werden. Voraussetzung für eine zukunftsfähige Berufsausbildung ist die kostenlose Bereitstellung qualitativ hochwertiger Lehr- und Lernmittel. Eine Verankerung dieses Punktes im BBiG würde einen großen Schritt in Richtung Chancengerechtigkeit bei der Berufsausbildung bedeuten.
  • In der Berufsausbildung hängt viel von der fachlichen und pädagogischen Betreuung ab. Deshalb muss der Ausbildungsschlüssel an die moderne Ausbildungssituation angepasst und neu beschrieben werden. Nur hauptamtliches Ausbildungspersonal, das in einem angemessenen Zahlenverhältnis zu den Auszubildenden steht, ist in der Lage, zukunfts- und leistungsfähige Facharbeiterinnen und Facharbeiter auszubilden. Mit dieser Forderung nehmen wir Bezug auf das im Bundesanzeiger (01/2016) empfohlene Ausbildungsverhältnis von 1:16.
  • Auch die geplante Mindestausbildungsvergütung sehen wir in der im Referentenentwurf vorgesehenen Form kritisch. Eine Mindestausbildungsvergütung muss sich an tariflichen Regelungen orientieren. Hier muss die aktuelle Rechtsprechung berücksichtigen werden: Eine Ausbildungsvergütung gilt dann als angemessen, wenn sie 80 Prozent der branchenüblichen tariflichen Ausbildungsvergütung nicht unterschreitet. Diese Regelung muss zwingend im BBiG verankert werden, andernfalls würden mit der Neuregelung erhebliche Nachteile für viele Auszubildende in unseren Branchen einhergehen. Denn würde die bisherige Rechtsprechung nicht fortgelten und die Auszubildenden ausschließlich auf die Mindestausbildungsvergütung verwiesen, wären all diejenigen schlechter gestellt, in deren Branchen 80 Prozent der tariflichen Ausbildungsvergütung den Betrag für die Mindestausbildungsvergütung übersteigt. Darüber hinaus kann kein_e Auszubildende_r von 504 Euro, was ungefähr 400 Euro netto entspricht, im ersten Ausbildungsjahr leben.
  • Grundsätzlich fordern wir eine unbefristete Übernahme für alle Auszubildenden nach ihrer Ausbildung. Mindestens sollte der Ausbildungsbetrieb jedoch, die Nicht-Übernahme drei Monate vor Ausbildungsende ankündigen. Verstreicht diese Frist, muss er dazu verpflichtet werden, ein unbefristetes Arbeitsverhältnis anzubieten. Auch hier sieht der Referentenentwurf keine entsprechende Regelung vor.

 

Setzen Sie sich für ein zeitgemäßes und modernes Berufsbildungsgesetz ein und lassen Sie uns gemeinsam die Zukunft der beruflichen Bildung in Deutschland sichern!

 

Wir freuen uns sehr darauf, mit Ihnen gemeinsam unsere persönlichen Erfahrungen in der Berufsausbildung sowie im dualen Studium zu besprechen und schon bald in einen inhaltlichen Austausch zur Novellierung des BBiG einzutreten.

 

Mit freundlichen Grüßen

Justin Langenbein, JAV Vorsitzender Bitzer Kühlmaschinenbau Schkeuditz

Melanie Rabsch, JAV Vorsitzende BMW Niederlassung Leipzig

Nico Eichhorn, JAV Vorsitzender BMW Werk Leipzig

Cedric Weila, JAV Vorsitzender CARS Technik & Logistik Wiedemar

Willy Richter, JAV Vorsitzender Georg Fischer Casting Solutions Leipzig

Stephan Pohl, JAV Vorsitzender MAN Truck & Bus GmbH Leipzig

Alexander Fischer, JAV Vorsitzender Mercedes-Benz Stern Auto GmbH

Eric Zillig, JAV Vorsitzender Schaudt Mikrosa Leipzig

Sarah Drechsel, JAV Vorsitzende Porsche Werk Leipzig

Tom Quasdorf, JAV Vorsitzender Schnellecke BU BMW

Jenny Siegmeier, JAV Vorsitzende Schnellecke BU Porsche

Tim Apfelstädt, JAV Vorsitzender Siemens Schaltanlagenbau Leipzig

Philip Meier, JAV Vorsitzender Siemens Niederlassung

Fabrice Schill, JAV Vorsitzender Siemens Kompressorenwerk Leipzig

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