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Interview mit China-Experte Stefan Schmalz, PD an der Universität Erfurt

01.03.2024 | Stefan Schmalz, China-Experte und PD an der Uni Erfurt, beurteilt das Verhalten des chinesischen Eigentümers als eher untypisch: „Wir haben in einem Forschungsprojekt im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 294 „Strukturwandel des Eigentums“ an der Universität Erfurt chinesische Übernahmen untersucht. Dabei haben wir festgestellt, dass die meisten chinesischen Anleger eher kompromissbereit sind gegenüber Vertretungen von Arbeitnehmern, also Betriebsräten, und nur selten Probleme mit der Mitbestimmung oder Tarifverträgen haben.“

PD Stefan Schmalz, Uni Erfurt - Foto: privat

Das Interview in voller Länge:

Herr Schmalz, Sie sind China-Experte. Finden Sie das Verhalten der Chiho Environmental Group typisch?

Das Verhalten des Unternehmens ist für chinesische Investoren in Deutschland eher untypisch. Wir haben in einem Forschungsprojekt im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 294 „Strukturwandel des Eigentums“ an der Universität Erfurt chinesische Übernahmen untersucht. Dabei haben wir festgestellt, dass die meisten chinesischen Anleger eher kompromissbereit sind gegenüber Vertretungen von Arbeitnehmern, also Betriebsräten, und nur selten Probleme mit der Mitbestimmung oder Tarifverträgen haben.

Es gibt auf chinesischer Seite aber oft Unkenntnis der hiesigen Verhältnisse und daraus resultieren kulturelle Konflikte, so etwa bei der Frage, welche Rechte ein Betriebsrat überhaupt hat oder wie Tarifverhandlungen ablaufen.

Und natürlich gibt es auch Themen, bei denen es mal kriselt, wie beispielsweise die Arbeitszeiten und Überstunden. Denn hier gibt es in China natürlich andere Regelungen und Praktiken als in Deutschland.

Insgesamt ist es in der Mehrzahl der von uns untersuchten Übernahmen aber so, dass sich die örtliche Geschäftsführung recht gut in bestehende sozialpartnerschaftliche Strukturen einfügt. Chinesische Unternehmen verhalten sich selten wie Private Equity Investoren, wo gekauft, der Aktienwert nach oben getrieben und rasch wieder verkauft wird. Meist handelt es sich um „patient capital“, also geduldiges Kaptal, und damit langfristig angelegte Investitionen.

Aber es gibt auch Ausnahmen. In der Vergangenheit wurden etwa einige Unternehmen von chinesischen Investoren nur gekauft, um später über den Verkauf einheimische Währung in Devisen zu tauschen und so Kapitalverkehrskontrollen zu umgehen. Das ist mittlerweile aber nicht mehr zu beobachten. Und es existieren durchaus auch Fälle, wo es Konflikte zwischen der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite gibt.

Bei früheren Übernahmen in der Metall- und Elektroindustrie haben die chinesischen Unternehmen sehr vorsichtig agiert und den übernommenen Unternehmen sogar eine große Autonomie in der Geschäftsführung überlassen. Das hat sich mittlerweile verändert. Man sieht bei einigen Unternehmen einen Wandel über die Jahre hinweg, Schließlich werden die Unternehmen dann doch stärker in die chinesische Mutter integriert. Dann ist beispielsweise das chinesische Management vor Ort und vielleicht wandelt sich auch die Identität des Unternehmens, ja, sogar die Marke samt Unternehmensname. In diesem Fall werden die Handlungsspielräume des Managements vor Ort kleiner.

Wir haben eine Datenbank zu den Akquisitionen, das SinoMetal Dataset, erstellt: Wir konnten insgesamt 253 Übernahmen zwischen 2004 und 2021 in der Metall- und Elektroindustrie identifizieren. Davon waren etwa ein Drittel Automobil- und Automobilzulieferer, ein Drittel Maschinenbauunternehmen und rund ein Drittel Unternehmen in anderen Bereichen. Außerdem haben wir uns 15 Fälle sehr genau angeschaut, mit der Geschäftsführung und den Betriebsräten gesprochen, und waren auch vor Ort in China. In den überwiegenden Fällen war es so, dass ein kooperatives Miteinander gesucht wurde.

Warum sitzt Chiho in Hongkong? Sind viele chinesische Unternehmen im Steuerparadies Cayman Inseln angemeldet?

Ich kann den konkreten Fall nicht direkt bewerten, dazu müsste ich mir die Strukturen genauer anschauen. Grundsätzlich hat Hongkong in der chinesischen Wirtschaft eine spezielle Funktion, weil es ein Finanzplatz ist. Historisch ist es so, dass Hongkong bei vielen Investitionen wie eine Drehscheibe für Finanzströme ins Ausland funktioniert hat. Unternehmen, die in Hongkong angesiedelt sind und dort arbeiten, funktionieren dann auch nach anderen Regeln wie in Festland-China. In China gibt es eine Vielfalt von Unternehmen mit unterschiedlichen Eigentumsformen: staatseigene Unternehmen, gemischte Eigentumsformen und private Unternehmen, die aber deutlich unabhängiger agieren. Doch selbst bei den privaten Unternehmen existiert immer noch ein großer Staatseinfluss. In Hongkong finden wir hingegen Ausprägungen des westlichen Finanzmarktkapitalismus, die man sonst in China nicht so stark findet.

Der Zeitpunkt der Übernahme ist interessant: Scholz Recycling wurde ja 2016 von Chiho gekauft. 2016 war der Höhepunkt der chinesischen Investitionswelle in Deutschland. Im gleichen Jahr wurde der Augsburger Roboterhersteller KUKA von dem chinesischen Haushaltsgerätehersteller Midea gekauft. Dieser Kauf hat große Aufmerksamkeit in der Politik erfahren. Seitdem gibt es auf deutscher und europäischer Seite verschiedene Initiativen, Direktinvestitionen aus dem Ausland stärker zu überwachen und zu regulieren. Auch in China gab es 2015/2016 einen Börsencrash, bei dem viel Kapital ins Ausland abgeflossen ist. Und hier kommen die Cayman Islands ins Spiel. Im Rahmen der damaligen Kapitalflucht wurde viel Geld in Offshore-Finanzzentren verschoben, teilweise illegal über Auslandsinvestitionen. Danach wurden dann in China die Zügel angezogen. In eigenen Bereichen kann man heute aus China gar nicht mehr so einfach Auslandsinvestitionen realisieren. Es gab früher beispielsweise Investitionen in ausländische Fußballclubs oder Immobilien. Solch windige Investitionen sind heute kaum noch möglich, auch andere Investitionen müssen genehmigt werden. Die Genehmigung läuft in China heute zum Teil über mehrere Ministerien. Die Übernahmewelle ist abgeebbt. Die Hauptinvestitionen in Deutschland sind jetzt Neu-Investitionen wie etwa von dem großen Batteriehersteller CATL in Arnstadt, Thüringen. Chinesische Investoren bringen heute also auch oft Hochtechnologie mit.

Anders im Jahr 2016. Damals hatten chinesische Investitionen noch eher die Intention, Wissen anzukaufen. Die Bedingungen waren damals sehr günstig, weil die chinesische Regierung solche Investitionen gefördert hat und Investitionen aus China seit der Eurokrise in der EU willkommen waren. Die staatliche Initiative „Made in China 2025“ war der Versuch, China als Industriemacht in zentralen High-Tech-Branchen aufzuwerten. In diesem Rahmen ist viel Geld nach Deutschland und Europa geflossen. Der deutsche Mittelstand war damals unglaublich „sexy“ für chinesische Anleger.

Und wie gesagt: Diese Welle ist nun vorbei. Anscheinend fällt der Kauf von Scholz Recycling noch genau in diese Phase. Mehr noch: Chiho wurde 2010 gelistet. Das war vor diesen Restriktionen. Damals gab es eine Weile den Versuch, Chinas Finanzmärkte stärker für das Ausland zu öffnen. Gerade in der Internetökonomie wurde viel Kapital im Ausland über Offshore-Zentren oder auf dem US-amerikanischen NASDAQ eingesammelt und in China investiert. Das ist heute schwieriger, auch wegen des „Wirtschaftskriegs“ mit den USA.

Das Interview führte Andrea Weingart

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