Streik bei SRW

Interview mit Demokratieforscher Oliver Decker

05.03.2024 | "Das ganze Reden über Demokratie bleibt inhaltsleer, wenn nicht auch in den Betrieben und Unternehmen mit der Mitbestimmung und Arbeitnehmerrechten ernst gemacht wird. Wenn Menschen am Arbeitsplatz für ihre Rechte kämpfen, setzen sie sich ganz konkret für die Demokratie ein", antwortet Professor Dr. Oliver Decker, Direktor des Else-Frenkel-Brunswik-Instituts für Demokratieforschung in Sachsen, auf die erste Frage im Interview.

Prof. Dr. phil. Oliver Decker - Foto: Swen Reichhold

Sie forschen in Leipzig zum Thema Demokratie. Im Leipziger Land streiken schon mehr als 108 Tage die Kolleginnen und Kollegen im Schrott- und Recycling-Unternehmen SRW metalfloat. Was sagen Sie dazu?

Das ganze Reden über Demokratie bleibt inhaltsleer, wenn nicht auch in den Betrieben und Unternehmen mit der Mitbestimmung und Arbeitnehmerrechten ernst gemacht wird. Wenn Menschen am Arbeitsplatz für ihre Rechte kämpfen, setzen sie sich ganz konkret für die Demokratie ein.

Schauen Sie in der Forschung auch konkret auf die Beschäftigten? Was finden Sie dort heraus?

Die Menschen in unserer Gesellschaft sind ja größtenteils berufstätig. Daher interessieren uns auch die Möglichkeiten und die Wahrnehmung betrieblicher Mitbestimmung. Wir fragen danach, ob die Menschen sich wahrgenommen fühlen und ob sie sich mit ihren Interessen auch gehört werden. Ist es auch im Betrieb möglich, über betriebliche Mitbestimmung zu sprechen, ohne Konsequenzen zu befürchten? Und wie wirkt sich das auf die politischen Einstellungen dieser Menschen aus?

An ihrem Arbeitsort verbringen Menschen sehr viel Lebenszeit. Was passiert, wenn das Demokratieversprechen und die Anerkennung der Arbeit nicht eingelöst werden? Wenn es nicht möglich ist, seine Interessen zu vertreten – wenn es nicht möglich ist, sich Gehör zu schaffen – wenn es nicht möglich ist, sich auch mit anderen zu organisieren, um ein Gegengewicht gegen die Geschäftsführung zu bilden? Unser Befund: diese Erfahrungen wirken sich negativ auf die demokratische Einstellung aus. Dann haben wir es mit einer stärkeren Logik von Gruppenidentität zu tun. In der Sozialpsychologie nennen wir das die Relation von WIR und DIE.

Gerade in Sachsen sehen wir, was dann passiert. Es entsteht schnell die Idee: Wir hier im Betrieb müssen zusammenstehen. Die nicht-existierende Möglichkeit, seine Interessen zu vertreten, führt bei den meisten Menschen zum Gefühl, eh nichts machen zu können. Sie erleben sich in einer Position von Hilflosigkeit und Schwäche – oft gar nicht zu Unrecht. Aber wir kennen das auch von uns selbst privat: Ohnmacht und Hilflosigkeit ist schwer auszuhalten. Sie führt zur Suche nach Handlungsfähigkeit, nach der Möglichkeit, irgendetwas zu beeinflussen. In der Arbeit liegt es dann nahe, mit der Geschäftsführungen und auch teilweise gegen die eigenen Interessen dieses Bedürfnis zu befriedigen.  Diese Leugnung von Interessensgegensätzen ist aber nicht weit weg von der Logik einer Gesellschaft als homogene Schicksalsgemeinschaft: „Wir hier in Deutschland gegen die Ausländer“ oder „Wir hier gegen die fremden Eliten“.

Hier kommt also eine Identitätslogik rein, die dann das Denken mitbestimmt und damit über den Betrieb hinaus in den Alltag hineinwirkt. Je mehr es im Betrieb möglich ist, die Erfahrung zu machen: Es gibt legitime Differenzen und es gibt auch legitime Möglichkeiten, diese auszuhandeln, desto besser ist die Gesellschaft insgesamt gegen die Demokratiebedrohung geschützt. Diese Erfahrung führt dazu, dass sie auch in den Alltag transferiert wird. Und umgekehrt: Wenn das nicht vorhanden ist, dann setzt sich die Logik durch: Was an so einem zentralen Ort gilt, das gilt schnell auch in allen anderen Lebensbereichen. Dann kommt auch dort zu Konformitätsdruck nach Innen und Abwertung eines vermeintlichen Außen. Wir gegen die anderen, wer auch immer die anderen gerade sind.

Wie können wir dem Erstarken rechter Einstellungen in unserer Gesellschaft begegnen? Was hat sich bei den Einstellungen verändert?

Die Einstellungen sind sehr konstant. Es sind nicht mehr Menschen geworden, die rechtsextrem eingestellt sind. Wir stellen aber eine gewisse Schwankung fest bei der autoritären Orientierung, die nicht nur Menschen mit rechtsextremen Einstellungen betrifft. Die autoritäre Orientierung ist die Orientierung an Macht und Stärke, um die eigene Schwäche zu kompensieren. Diese resultiert aus gesellschaftlichen Verhältnissen und dem Versprechen zur Teilhabe an der Macht von jemand Größerem und Stärkeren. Das schlägt nicht nur durch bei rechtsextremen Einstellungen, sondern wirkt sich aus auf die Atmosphäre in der gesamten Gesellschaft.

Wer einer Ideologie der Ungleichwertigkeit anhängt – wie die AfD-Anhänger – der nimmt gewissermaßen eine Abkürzung: Wut und Hilflosigkeit dürfen plötzlich berechtigt ausgelebt werden. Aber der gleiche gesellschaftliche Druck lastet auf allen. Es ist der Konkurrenzdruck, die Angst vor dem Verlust des Selbstwerts, die Erfahrung mangelnder Anerkennung: Damit haben wir alle zu tun. So finden wir die Reaktionen auch bei vielen und uns selbst, also dass wir versuchen, mit einer Gruppenidentifikation handlungsfähig zu werden. Davon ist ja niemand frei. Und so nehmen die aggressiven Dynamiken zwischen Gruppen zu.

Auch auf Menschen, die sich für die Demokratie einsetzen, lastet dieser Druck. So können wir ähnliche Reaktionen auch in der bewegungsförmigen Linken sehen, obwohl sie dabei stärker in Widerspruch mit ihrem eigenen Anspruch gerät. Wenn man Ideen von Emanzipation und politischer Gleichheit ansetzt, dann hat man es bei Weitem schwerer, auch ein Ventil zu finden. Das ist mit einer Ideologie der Ungleichwertigkeit viel leichter zu machen. Trotzdem finden auch an der Stelle starke Aggressionen, starke Abwertungsbereitschaft statt.

Das macht uns Sorgen, weil wir hier sehen, dass im Grunde genommen dadurch auch eine Ent-Solidarisierung stattfindet. Das städtische, akademische Publikum trennt sich dann auch stärker von den Menschen, die beispielsweise streiken. Es wird dann der Versuch gemacht, sich selber abzusichern in Konkurrenz zu anderen.

Das hat aus unserer Sicht zugenommen. Und das größte Problem ist, dass Menschen mit rechtsextremen Einstellungen jetzt auch so handeln. Das wirkt sich auch auf die Wahlen aus. Früher war die Herkunft oder konkrete politische Inhalte entscheidend für die Wahl: Wirtschaftskompetenz, soziale Gerechtigkeit, Bildungsaufstieg. Heute sind es oft Aggressionen und die führen dann zur Wahl der AfD. Im Hintergrund steht diese grundsätzliche Ent-Solidarisierung und starken Druck innerhalb der Gesellschaft. Deshalb ist es jetzt so wichtig, dass wir uns alle die Frage beantworten: Wie gehen wir in einer Gesellschaft miteinander um, in der wir immer mehr miteinander in Konkurrenz stehen?

Die Leipziger Autoritarimus Studie wird seit 2002 im Zwei-Jahres-Rhythmus durchgeführt.

Prof. Dr. phil. Oliver Decker ist auch Direktor des Kompetenzzentrums für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung, beide Universität Leipzig und Professor für Sozialpsychologie an der Sigmund Freud Universität Berlin


Das Interview führte Andrea Weingart.

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